Ab 2025 Ukraine will Gashahn zudrehen - wie sich deutsche Verbraucher dagegen wappnen

FOCUS-online-Redakteur Julian Piepkorn

Samstag, 23.12.2023, 11:03

Die Ukraine will ab 2025 kein russisches Gas mehr nach Europa leiten. Weil der europäische Gasmarkt stark vernetzt ist, könnte das auch für deutsche Verbraucher teuer werden. Die Industrie könnte weiter ins Ausland abwandern.

Harald Schneider/APA/dpa
Österreich ist von russischem Erdgas abhängig. Fällt das Gas weg, steigen auch in Deutschland die Preise.

Im verschlafenen Örtchen Baumgarten tief im Osten Österreichs zeigt sich: Europa ist fast zwei Jahre nach dem russischen Angriff auf die Ukraine noch immer vom Gas aus Moskau abhängig. Das kleine Dorf ist eine der bedeutendsten Drehscheiben der europäischen Gasversorgung. Von hier aus wird das Gas nach Ungarn, Tschechien, in die Slowakei aber auch nach Österreich gepumpt. Unsere Nachbarn sind besonders abhängig von Russland. Selbst im zweiten Kriegsjahr stammen durchschnittlich mehr als 60 Prozent der Erdgasimporte aus Russland. Im Oktober 2023 waren es laut aktuellen Daten der Regierung allein 90 Prozent.

"Es ist gut möglich, dass die Preise für Strom und Gas steigen werden"

Und jetzt müssen die Österreicher sich dringend nach Alternativen umschauen, denn ab 2025 will die Ukraine kein Erdgas mehr in Richtung Westen durchleiten. Russland soll schon lange keine Durchleitungsgebühren mehr an die Ukraine zahlen. Ende 2024 läuft der Vertrag zwischen der Ukraine und dem russischen Gaskonzern Gazprom aus. Die Ukraine hält laut eigener Aussage nur an den Lieferungen fest, weil Länder wie Österreich stark auf russisches Gas angewiesen sind. Deutschland bezieht zwar seit dem russischen Überfall auf die Ukraine kein Gas mehr aus Moskau. Trotzdem könnten Verbraucher auch hierzulande die Auswirkungen spüren.

"Es ist gut möglich, dass die Preise für Strom und Gas steigen werden", sagt Svetlana Ikonnikova, Professorin für Energiewirtschaft an der Technischen Universität München. Denn der europäische Energiemarkt ist stark vernetzt. Fehlt vor allem im Winter der günstige Strom aus Wind und Sonne, springen die teuren Gaskraftwerke ein. Gezahlt wird immer der teuerste Preis. Das nennt sich Merit-Order-Prinzip.

"Wenn am europäischen Gasmarkt an einer Stelle die Preise steigen, hat das in vielen Fällen auch Auswirkungen auf andere Länder", erklärt Malte Küper, Experte für Energiepolitik am arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). "Wenn unser Nachbar in Österreich in eine Gasknappheit gerät, dann würde auch bei uns das Gas teurer."

Dass die Ukraine in einem Jahr den Gashahn zudreht, hält Küper für unwahrscheinlich. "Die Ukraine hat im Zuge ihres möglichen EU-Beitritts ein Interesse, Lieferungen von Russland nach Österreich nicht aufzuhalten", argumentiert Küper. "Die Ukrainer wollen ihre westlichen Partner nicht im Stich lassen." Wie solch ein Gas-Deal mit der Ukraine aussehen könnte, ist allerdings noch unklar.

Gas-Chef hält Lieferungen aus Russland für "weiterhin vernünftig"

Der österreichische Energieversorger OMV hat noch bis 2040 einen Liefervertrag mit Gazprom und muss weiterhin für das Gas bezahlen. Die EU sanktioniert den Gas-Import aus Russland bislang nicht. Es sei deshalb "weiterhin vernünftig", russisches Gas abzunehmen, sagte OMV-Chef Alfred Stern jüngst gegenüber der "Welt". Wie genau der Vertrag der teilstaatlichen OMV mit den Russen aussieht, weiß allerdings noch nicht einmal die österreichische Regierung.

Sollte es zu einer Versorgungskrise in Österreich kommen, muss Deutschland einspringen. Dann gilt die Beistandsgarantie auf dem europäischen Gasmarkt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) skizzierte solch ein Szenario bereits im Juni am Rande des Ostdeutschen Wirtschaftsforums in Bad Saarow. "Würde das russische Gas nicht in dem Maße, wie es noch immer durch die Ukraine fließt, nach Osteuropa kommen, gilt, was europäisch verabredet wurde: Bevor die Leute dort frieren, müssten wir unsere Industrie drosseln oder gar abschalten", so Habeck.

Industrie könnte weitere Kapazitäten ins Ausland verlagern

Dieses Szenario ist nach derzeitigem Stand aber ebenfalls unwahrscheinlich. "Eine angeordnete Abschaltung einzelner Unternehmen, wie sie noch im vergangenen Winter befürchtet wurde, droht wohl nicht mehr", sagt IW-Experte Küper. "Das eigentliche Problem ist der anhaltende Produktionsrückgang einiger Branchen durch die hohen Gas- und Strompreise."

Die Energiewissenschaftlerin Svetlana Ikonnikova befürchtet, dass dadurch "zwischen fünf und zehn Prozent der deutschen Produktionskapazitäten in der Industrie dauerhaft ins Ausland abwandern" könnten.

"Wir müssen die Situationen in unseren Nachbarländern mitdenken"

Deutschland kommt hingegen als wichtiger Vermittler in Betracht, wenn der Transitvertrag für russisches Erdgas ausläuft. "Deutschland könnte Gas von seinen mobilen Flüssiggas-Terminals oder aus Norwegen in Zukunft in Länder wie Österreich weiterleiten", sagt Energieexperte Küper. Die Binnenländer in Südosteuropa würden so vom Küstenanschluss Deutschlands profitieren.

Umweltschützer kritisieren den Ausbau der Flüssiggasterminals. Deutschland mache sich weiterhin abhängig von fossilen Energiequellen. "Beim Ausbau von LNG-Terminals fokussieren sich die Kritiker meist nur auf den deutschen Bedarf", mahnt hingegen Malte Küper. "Aber wir müssen die Situationen in unseren Nachbarländern mitdenken."

"Wir in Deutschland sind nicht so gut auf eine Gaskrise vorbereitet, wie wir sein sollten"

Langfristig sei mit sinkenden Preisen auf dem Gasmarkt zu rechnen, meint Küper. "So günstige Gaspreise wie vor dem Ukraine-Krieg werden wir in den nächsten Jahren aber wohl nicht sehen." Bis es soweit ist, wird es allerdings noch einige Jahre dauern. Denn Deutschland und Europa müssen nun auf dem Weltmarkt einkaufen. China und Japan hätten sich dort bereits viel Gas gesichert. Die USA und Katar wollen dafür perspektivisch mehr LNG nach Europa verschiffen.

"Wir in Deutschland sind nicht so gut auf eine Gaskrise vorbereitet, wie wir sein sollten", mahnt die Energiewissenschaftlerin Ikonnikova. "Noch können wir weitere Verluste in der Wirtschaft vermeiden. Erste Anzeichen dafür sehen wir bereits."

Wie sich Verbraucher vor hohen Kosten schützen können

Für Verbraucher lohnt sich in jedem Fall ein Vergleich der Stromtarife. Aktuell sinken die Strompreise je Kilowattstunde wieder. Wer lange bei seinem Anbieter bleibt oder nie aus der Grundversorgung gewechselt ist, zahlt in der Regel deutlich mehr. Wer sich vor einem möglichen Kostenschock im nächsten Winter schützen möchte, kann zu Verträgen mit einer längeren Laufzeit von beispielsweise zwei Jahren greifen.

Die Preise werden dann zu Beginn des Vertrags garantiert. Diese Tarife sind oftmals etwas teurer als Verträge mit kürzerer Laufzeit. Die Anbieter sichern sich so vor steigenden Kosten an den Strombörsen ab.

Wer eine Gasheizung mit Tank im Garten betreibt, kann diesen auch im warmen Sommer befüllen lassen. Der Preis ist dann oftmals geringer als zu Beginn der Heizperiode im Herbst.


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